Grenzenlos solidarisch statt isoliert und egoistisch –

Antworten aus Kassel auf die soziale Frage in Zeiten von Corona

Viele Menschen werden besonders hart von den Folgen rund um die Corona-Pandemie getroffen. Gleichzeitig entstehen in Kassel und anderen Orten neue Initiativen die Mut machen und gerade jetzt zeigen, dass eine solidarische Welt möglich ist. Vom Spagat zwischen diesen Widersprüchen handelt dieser dreiteilige Radiobeitrag.

ZwischenFunken Kassel in Zeiten von Corona - Teil 3

Wie können wir sorgsam sein? Mit Nachbar*innnen im Stadtteil, mit Menschen in der Bahn... mit uns selbst. Und was hat diese Sorge mit der Utopie für eine bessere Welt zu tun? Im LETZTEN TEIL hört ihr dazu INTERVIEWS mit:

  • "Hier im Quartier" - Kultur & Begegnung neu organisieren

  • "response Hessen" - Betroffene von Rassismus nicht alleine lassen

  • "Aidshilfe Kassel" - Umgang mit psychischen Belastungen

Alle Angebote und Quellen: https://hearthis.at/zwischenfunken/kassel-in-zeiten-von-corona3/

Der (unvollständige) Katalog der Schreckensmeldungen:

Über 150.000 Menschen sind schon durch COVID-19 gestorben, was nicht nur an fehlenden Medikamenten und Impfstoffen liegt. In Ländern wie Spanien und Italien, deren Gesundheitssysteme in den letzten Jahren auf Druck der Troika kaputt gespart wurden, fehlen schlicht Krankenhäuser und Behandlungsbetten. Die Einschränkung von Produktion und Konsum bringt die Weltwirtschaft in große Schwierigkeiten. Millionen von Menschen verlieren gerade ihre Jobs und damit ihre Existenzgrundlage. Regierungen nutzen derweil die Krise um sich mehr Macht zu sichern. Ungarn zum Beispiel, wird Ungarn von Orban gerade zur Diktatur umgebaut. Doch auch in Deutschland werden die demokratischen Grundrechte massiv angegriffen. Sogar Menschen die mit Sicherheitsabstand protestieren, erfahren schmerzvoll, dass ihr Recht auf Versammlungsfreiheit vielerorts nur noch auf dem Papier existiert. Und während die Polizei Menschen unter Verweis auf das Infektionsschutzgesetz von der Straße zerrt, sind große Menschenansammlungen in Betrieben offenbar kein Problem. Bei Amazon werden Arbeiter_Innen gefeuert, wenn sie kritisieren, dass ihre Gesundheit den Bossen weniger wert als der Profit sei. Die Polizei erweitert massiv ihren Handlungsspielraum, verscheucht Leute von der Parkpank die dort alleine ein Buch lesen und sammelt in mehreren Bundesländern Listen mit Covid-19-Kranken. In Kassel, wo die Zahl der Straftaten seit Jahren kontinuierlich sinkt, werden Bedienstete des Ordnungsamts plötzlich zu einer neuen Stadtpolizei upgegradet, angeblich weil das die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlange. Politikerinnen sprechen davon dass man im „Krieg“ gegen das Virus sei und auf die Militarisierung der Sprache, folgt der Einsatz von Armeen im Inland. Auch die Bundeswehr hat vorsorglich 15.000 Soldat_Innnen mobilisiert, die im Notfall eingesetzt werden sollen. Auf welcher Rechtsgrundlage und ob auch für Polizeiaufgaben, bleibt schwammig. Unklar bleibt auch ob bestimmte Techniken zur Pandemiebekämpfung, wie Apps oder Fitness-Tracker nicht auch noch für ganz andere Sachen genutzt werden können. Edward Snowden, warnt jedenfalls davor, dass solche Techniken nach der Pandemie nicht einfach verschwinden, sondern zur Überwachung der Bevölkerung eingesetzt werden. Aus der CSU kommen Stimmen, Leuten die die App nicht installieren wollen, gewisse Grundrechte zu verweigern. Und als wäre die Wirklichkeit nicht schon scheiße genug, lassen sich Leute selbst jetzt noch was einfallen und verbreiten Verschwörungstheorien, die von den realen Problemen ablenken. Wie viel von dem was jetzt kommt, lässt sich später wieder zurücknehmen? Egal ob alle bescheuerten Vorschläge die schon auf dem Tisch liegen auch wirklich umgesetzt werden, wir sollten uns jedenfalls nicht der Illusion hingeben, dass der Kontroll- und Maßnahmenstaat, der sich jetzt im Windschatten der Pandemiebekämpfung aufbaut, seine Instrumente freiwillig wieder wegpacken wird. Das ist leider Teil der Ausgangslage um die keine utopische Erzählung herumkommt und man könnte das Bild mit noch mehr schlechten Nachrichten sicher noch düsterer malen.

 

Ist es naiv zu hoffen?

Ich erlebe es manchmal in linken Debatten, dass Menschen die sich mit viel Optimismus engagieren, als naiv abgestempelt werden. Wem bestimmte Kämpfe oder Bewegungen Hoffnung machen, hat sich einfach nicht gut genug informiert oder den entscheidenden Aspekt übersehen. Eine solche Haltung find ich nicht nur unsolidarisch und extrem lähmend, sondern manchmal auch privilegiert. Schauen wir doch mal an den Ort der aktuell wie kein anderer als Sinnbild für die absolute Hoffnungslosigkeit steht. Moria, das Camp auf der Insel Lesbos mit über 20.000 Geflüchteten. Dieses Sinnbild der Hoffnungslosigkeit, das über Medien an uns herangetragen wird, ist ein verzerrtes Bild. Viele Menschen dort haben nämlich sehr wohl, eine ganze Menge Hoffnung. Das sagen sie sogar ausdrücklich (facebook.com/MoriaCoronaAwaren...204717830757156). Natürlich haben sie auch Angst, aber könnte es sein, dass es möglich ist Hoffnung und Angst gleichzeitig zu haben? Kann nicht beides zusammen seine Berechtigung haben? Die Menschen in Moria warten nicht passiv ab, ob Europa sie retten oder sterben lassen wird, sie werden aktiv um selber ihre Situation zu verbessern. So haben Geflüchtete das „Moria Corona Awareness Team“ gegründet, das Aufklärungsarbeit leistet und das Camp auf mögliche Corona-Infektionen vorbereitet. Seit ein paar Tagen hat eine Schule mit dem Namen „Wave of Hope“ eine Bibliothek im Camp eingerichtet, damit Menschen die in Quarantäne sind Bücher lesen können (facebook.com/WaveOfHopeForTheF...534499887206612). Diese aus verschiedensten Nationen zusammengewürfelte Gemeinschaft beginnt sich als politisch handlungsfähig zu verstehen. Es finden Demonstrationen für eine Evakuierung statt, gleichzeitig wird das Zusammenleben im Camp organisiert. Vielleicht sollten wir einfach mal die Perspektive umdrehen und uns fragen, was können wir von den Menschen aus Moria lernen? (guter Artikel dazu: jungle.world/index.php/blog/vo...fuer-lesbos-tun). Hoffnung jedenfalls, ist nicht nur etwas für weiße Mittelschichtskinder, die nach ihrem nine-to-five-work-life-balance-job noch genug Zeit und Energie haben sich für die Menschenrechte zu engagieren. Hoffnung ist eine Überlebensstrategie und ein Antrieb sich nicht mit der Situation abzufinden, wenn andere sich längst damit abgefunden haben.

 

Die Hilflosigkeit rechter Regierungen und Parteien in der Corona-Krise:

„«Flatten the curve» ist eben nicht das Recht des Stärkeren, sondern Solidarität“ (Zelik 2020). Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, kann man in dem Land sehen, wo das wahr gewordene Klischee eines kapitalistischen Ausbeuters im Regierungssessel sitzt. Selbst jetzt, wo in den USA täglich die Todeszahlen in die Höhe schnellen, redet Trump noch davon, den Shutdown zu lockern und die Wirtschaft wieder anzufahren. Trump ist auch ein Beispiel dafür, dass rechte Regierungen weltweit merkwürdig hilflos auf die Corona-Pandemie reagieren. Ob Bolsonaro in Brasilien, Erdogan in der Türkei, Morrison in Australien, Putin in Russland: Immer wieder sind es die scheinbar starken Männer, die in einer fatalen Mischung aus Faktenresistenz und Selbstverliebtheit das Virus ignorieren, verharmlosen, zu spät oder widersprüchlich handeln. Auch bei der AfD in Deutschland fällt das auf. Könnte es sein, dass das damit zu tun hat, dass die Rechten nichts von Sorgearbeit verstehen? Weder für sich selbst noch für andere? Oder liegt es daran, dass sie sich in ihren Fake-News-Bubbles mittlerweile so weit von der Realität entfernt haben, dass sie allen Ernstes ihren eigenen Verschwörungstheorien zum Virus auf den Leim gehen?

Creative Commons Musik:

Children Aren't Kids
(Ausschnitt + transformiert)
von septahelix, unter
ccmixter.org/files/septahelix/61039
Lizenz: CC BY-NC 3.0

Sayaranigracht
(leicht gekürzt)
von El Búho, unter
elbuho.bandcamp.com/track/sayaranigracht
Lizenz: CC BY-NC 3.0

El Pueblo Unido
von Arbeiter_Innenliederchor Kassel, unter
youtube.com/watch?v=Wy85ksgghlI
mit freundlicher Genehmigung des Chors :)

Come Gentle Spring, Come At Winter’s End
von Jan Grünfeld, unter
http://headphonica.com/jan-gruenfeld-music-for-plants/
Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0

Free
von Kristian Skybound, unter
ccmixter.org/files/kris_sky/56728
Lizenz: CC BY-NC 3.0

 



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